Besorgt strich sie mir über den Kopf, murmelte etwas – mehr zu sich selbst als zu mir. Ich schielte.
Ihr Ausdruck wirkte etwas ratlos und dennoch amüsiert. Ich schielte nicht mehr.
Sie lachte und sagte wieder ein paar Worte. Ich schielte.
Sie lachte nicht mehr. Ich schielte nicht mehr. Ich sah sie nur noch an.
Erwartungsvoll legte ich meinen Kopf schief.
„Was ist nur los mit dir?“, sprach sie und ich verstand. Sie hatte diesen Satz in letzter Zeit sehr oft zu mir gesagt, sodass ich an seiner Bedeutung keinen Zweifel hegte.
Freudig hob ich mein Schwänzchen und schnurrte.
Wieder schien Old Lady irritiert. Sie sah sich hilfesuchend um. Schließlich griff sie abgelenkt nach einem Handtuch, packte mich sicher darin ein und legte mich wortlos zu Mama und meinen schlafenden Geschwistern ins Körbchen.
Dann ging sie fort.
In weniger als zwei Minuten hatte ich mich wieder frei gewühlt – inzwischen hatte ich darin richtig Übung – und machte mich gerade daran über den Korbrand zu springen ...
„Tyrrin, was soll das?“, raunte Mama mir verschlafen zu.
„Ich versteh sie, Mama“, sagte ich begeistert.
„Du kannst sie auch morgen noch verstehen“, sprach Mama mit müdem Interesse.
„Aber, Mama!“, quengelte ich.
„Kein aber, Tyrrin.“
Sie hob ihren Kopf und betrachtete mich unbeeindruckt.
„Du wirst noch genug Gelegenheit haben, um mitten in der Nacht Sachen zu verstehen – wenn du älter bist.“
„Aber, Mama, ich verstehe sie – die Menschin“, sagte ich, jetzt lauter.
„Halt die Klappe, Tyrrin“, murrte Kurti.
„Halt selber die Klappe“, fauchte ich zurück.
„Tyrrin!“, ermahnte Mama mich. „Benimm dich! Außerdem heißt es nicht Menschin, sondern Frau oder Menschenfrau.“
„Ich versteh die Menschenfrau!“, setzte ich meine Begeisterung fort. „Ich verstehe, was sie sagt – ihre richtigen Worte.“
„Kaum einer versteht die Menschen, mein Schatz“, beruhigte Mama mich. „Und die, die meinen sie verstehen zu können, sind ... sagen wir ... sonderlich.“
„Tyrrin ist sonderlich!“, rief Betti schadenfroh. Ich bedachte sie mit einem mächtig strafenden Blick.
„Hör auf zu schielen, Tyrrin“, griff Mama ein, „sonst bleibt das so.“
Ich bemühte mich, weniger strafend zu gucken.
„Und jetzt schlaf, Tyrrin. Du bist schon viel zu viele Nächte ausgebüxt und hast die Menschenfrau um ihre Nachtruhe gebracht.“
„Aber, Mama!“
„Nichts aber, schlaf jetzt!“
Der nächste Tag verlief wie gehabt. Ich wich Old Lady nicht einen Moment von der Seite, fing jedes ihrer Worte mit den Blicken auf. Alle meinten, ich würde dabei schielen! – Pff! Was für Banausen ...
Old Lady nahm mich mehrmals auf den Arm, betrachtete mich besorgt und redete mit mir. Ich starrte ... Nun, ihr kennt das Spiel ja schon.
Es kam der Abend. Doch dieser war heute anders.
Old Lady erzählte wie immer. Wir lauschten gespannt wie immer. Ich beobachtete jede einzelne ihrer Regungen und Bewegungen, hörte jeden Ton und jeden Laut – an sich genau wie immer ...
Ich bemerkte ein Kichern. Dann ein Tuscheln. Wieder ein Kichern, dieses Mal mehrstimmig. Und schließlich folgte ein „Mama, Tyrrin schielt schon wieder!“.
Es war Sissi – die Heulsuse.
Ich ignorierte sie, auch wenn das allgemeine Kichern jetzt zur frechen Lachsalve wurde.
„Mama, sieh doch mal!“ Diese blöde Kuh konnte einfach nicht ablassen.
„Sissi, hör auf Tyrrin zu ärgern“, mischte sich Mama mit dem Gleichmut einer müden Katzenmutter ein. „Und Tyrrin, hör auf zu schielen.“
„Sonst bleibt das so!“, setzte Hubert-Josef nach und brach mit den anderen in schallendes Gelächter aus.
Ihr denkt, dass ich mich davon beirren ließ?
Keinesfalls – liebe Kätzlein und Katerchen, liebe Mädchen und Jungen – so etwas tut ein Tyrrin nicht.
Ich schaute aufmerksamer, lauschte eindringlicher denn eh und je, sah auf Old Ladys Lippen ...
Dann geschah es – plötzlich verstand ich jedes Wort.
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