Sie verstand nicht.
Ja, wie auch, liebe Kätzlein und Katerchen, liebe Mädchen und Jungen?
Old Lady verstand natürlich kein einziges Wort von uns, denn sie war eine Menschenfrau. Für sie klang alles, was wir sagten wie „Miu!!“ oder „Miu, miu?“.
Freilich verstanden wir ihre Worte genauso wenig, aber ihre Stimme war sehr warm und freundlich und wir mochten die Art, wie sie mit uns redete. Mal klang sie ruhig. Mal klang sie aufgeregt. Und manchmal – doch nur, wenn Old Lady es so wollte – klang sie schärfer als die frisch gewetzte Klinge eines Rasiermessers.
Speziell die letztere Tonart begriffen wir am schnellsten, doch auch die anderen Klänge verstanden wir sehr bald zu deuten.
Es war gar nicht mal so schwer. Denn jedes Mal, wenn sie etwas auf eine bestimmte Art und Weise sagte, gab es stets etwas Bestimmtes, dass sie dabei tat.
Klang sie mild und warm, zog dies sehr oft angenehme Streicheleinheiten nach sich. Klang ihre Stimme glockenhell und wie „kittykittykitty“, durften wir stets ein paar schöne Leckereien oder ein neues Spielzeug erwarten. Klang sie plötzlich streng und schroff, saßen wir wenig später allesamt im Körbchen und lauschten Mamas Standpauke. Und klang Old Lady selbstsicher, bestimmt und voller Ehrgeiz, hockten wir alle bald von ganz allein in unserm Körbchen – in der Regel unter Mama – oder verkrochen uns in die nächstbeste Nische, die wir auf die Schnelle finden konnten. Denn legte Old Lady erst ein solches Verhalten an den Tag, brachte dies immer eine Form der völlig unbegründeten Folter mit sich – häufig spielten dabei eine Badewanne, Seife, eine sehr grobe Bürste und jede Menge Wasser eine wesentliche Rolle.
Doch viel zu oft war das Versteckspiel einfach für die Katz. So meisterhaft wir auch versuchten, uns vor Old Lady zu verbergen – es war umsonst. Sie fand uns.
Je ... des ... Mal ...
Ob ängstlich wimmernd oder schmerzerfüllt quiekend – nicht, dass wir in der Tat so etwas wie ernste Schmerzen verspürt hätten – Old Lady zeigte kein Mitgefühl, und schon gar kein Erbarmen. So landete schließlich jeder von uns in einer fluffig aufgebauschten Schaumwolke aus lauwarmem Wasser und umherirrenden Seifenblasen …
Aber von all diesen eigentümlichen Verhaltensweisen, die uns Old Lady offenbarte, erschien mir eine ganz besonders eigenartig – um nicht zu sagen faszinierend.
Old Lady hatte nämlich eine Angewohnheit, die sich jeden Abend stets aufs Neue wiederholte ...
Sie setzte uns alle behutsam ins Körbchen und wir protestierten auch nicht. Im Gegenteil. Wir erwarteten das, was kommen würde voller Spannung und Vorfreude. Old Lady setzte sich neben uns in ihren Sessel – und redete.
Natürlich verstanden wir auch davon nicht ein einziges Wort. Aber durch die Art wie sie redete, fesselte sie jeden von uns, sogar meine Mama.
Mal sprach sie ganz leise. Mal sprach sie sehr, sehr, seeehr ... gedehnt. Mal sprach sie laut und noch LAUTER! Mal sprach sie gewöhnlich, verzog dabei jedoch grotesk ihr Gesicht. Mal schriiiieeee(!!!) sie vor Angst und vor abscheulichem Grauen – und manchmal schrien wir ...
Old Lady verstand es, uns auf eine wahrlich bezaubernde Art in ihren Bann zu ziehen, die weit jenseits von Bedeutung und Verständnis lag.
Mir aber reichte das nicht.
Ich war ein Tyrrin. Ich war die neugierige Nervensäge ...
Ich wollte mehr wissen. Ich wollte wissen: Warum?
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