„Junge Frau, ich such‘ die alte Hexe, die hier wohnen soll. Sie ist eine Landsmännin von mir, wenn ich recht gehört habe.“
„Oh, Sie haben recht gehört“, bestätigte Old Lady. „Und die alte Hexe steht vor Ihnen.“
„Mädchen, ich suche nicht die Schülerin. Chuercha! Ich will die Meisterin dieser Hexenküche sprechen.“
„Auch diese steht bereits vor Ihnen“, sagte Old Lady mit verständnisvollem Sanftmut.
„Ich vermute, es geht um Ihren Husten?“
Sie machte sich auf zum Regal über ihrer Mixtur-Theke.
„Der Husten klingt wirklich furchtbar“, merkte ich an.
„Du zählst doch höchstens dreißig Winter“, stellte der Mensch fest.
„Im nächsten Jahr, um genau zu sein“, präzisierte Old Lady und zerrieb etwas Scharfes in ihrem Mörser.
„Sie haben ein gutes Auge.“
„Chuhahäraha ...“, räusperte sich der Mensch.
„Du weißt schon, dass der Name, den sie dir hier gegeben haben, deine Landsleute heftig in die Irre leitet, Mädchen?“
„Wer sagt, dass die Leute mich so genannt haben“, erwiderte Old Lady geschäftig bei der Arbeit.
„Wie heißt du wirklich?“
„Old Lady!“, antwortete ich eifrig.
„Das ist nicht ihr Name, kleiner Hexenkater. –
Hurahärsch! – So nennt man sie hier nur.“
Prüfend legte ich meinen Kopf zur Seite.
„Old Lady bedeutet in meiner Sprache Alte Dame. Doch deine Meisterin ist noch lange nicht so alt, um diese Anrede ernsthaft zu verdienen.“
„Aber warum nennt man sie dann so?“
Der Mensch sah zu Old Lady und grinste.
„Das, kleiner Hexenkater, ist eine sehr, sehr kluge Frage“, raunte er mir heiser zu.
„Warum nennt man eine junge Frau in ihren besten Jahren eine alte Dame?“
„Weil die Menschen hier meine Muttersprache nicht verstehen und sich an der wahren Bedeutung dieser Worte nicht weiter stören“, gab uns Old Lady zu verstehen.
„Aber dein Name ist wichtig!“, warf ich entrüstet ein. „Deshalb muss man ihn immer gut und richtig aussprechen können, damit ihn alle anderen auch verstehen. Das hast du mir selbst gesagt.“
„Ach, hat sie das? Chrächrua!“ Der fremde Mensch lächelte – aber freudlos.
Old Lady kippte den Inhalt des Mörsertigels in ein kleines Leinensäckchen.
„Ja, Tyrrin“, sprach sie. „Dein Name ist wichtig. Doch manchmal muss man besonders aufpassen, wem man ihn verrät. Nicht jeder, der deinen Namen kennt, hat mit ihm etwas Gutes im Sinn.“
„Ich ... ähm ... verstehe ...?“, meinte ich unsicher.
Dann sagte Old Lady etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Es war die Menschensprache – daran hatte ich keinen Zweifel. Jedoch gehörten die gesprochenen Worte nicht zu denen, die ich bereits kannte.
Der Mensch lachte trocken und hustete eitrig. Er antwortete in ähnlich fremden Worten, die Old Lady erwiderte, während sie ihm das kleine Leinensäckchen überreichte. Schließlich sagte der Mensch „Danke!“ und grinste dreckig zu mir herüber.
„Wer bist du?“, platze die Neugier aus mir heraus.
„Nenn′ mich Young Gentleman“, sprach er mit rauem Gelächter und ging.
Verwundert sah ich Old Lady an. Sie war irgendwie anders. Heute würde ich sagen, sie wirkte älter, denn ihre Züge waren so ernst und voller Sorge.
„Old Lady?“, fragte ich vorsichtig.
„Ja?“
„Wie ist dein echter Name?“
„Kleiner Tyrrin“, sprach sie und kniete vor mir nieder. Liebevoll strich sie mir mit ihrer Hand über den Kopf. „Es ist für uns beide besser, wenn du ihn erst einmal nicht erfährst.“
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