Wie gebannt hingen sie nun allesamt an meinen Lippen. Mein dramatisches Geschick konnte Old Ladys malender Erzählweise zwar noch lange nicht das Wasser reichen, der Wirkung ihrer Geschichten, die ich Abend für Abend von ihr aufschnappte, tat dies jedoch keinen Abbruch.
Zu fesselnd waren diese fremden Welten, diese ungewöhnlichen Leben und merkwürdigen Situationen, in welche Old Lady erst mich und ich wiederum meine gesamte Familie einlud. Doch je öfter ich meine Vorstellung nach unserem „Gute Nacht“- Arrest im Körbchen darbot, desto mehr erwuchs in mir der Wunsch, Old Lady in ihrer Kunst des Spielens nachzueifern.
Spielte ich, so tat ich Old Lady alles nach, wie ich es zuvor bei ihr gesehen hatte. So ganz heranreichen, wollte mein Können auf Anhieb allerdings nicht ...
Mein Ehrgeiz war geweckt.
Noch eindringlicher starrte ich auf die Menschenfrau. – In den meisten Fällen zog dies eine Unterbrechung der Erzählung nach sich, da Old Lady sich genötigt sah, mich aufmerksamer zu betrachten.
Mit der Zeit gewöhnte ich mir sogar an, ihre Gesten und die Bewegungen während ihres Vortrags im Publikum nachzumachen. Alle paar Minuten rief Mama mich deshalb zur Ruhe. Ihr Erfolg dabei hielt sich allerdings in Grenzen.
Nichts brachte mich davon ab, Old Ladys Gebaren zu kopieren, mich wie sie zu bewegen, ihre Mimik zu übernehmen, die Stimmfarbe zu variieren – ja, ich sprach leise ihre Worte mit. Ich formte sie mit meinem Mund, der Zunge, den Lippen und dem Gaumen ...
Allerdings merkte ich in der Aufregung der Erzählung nicht, wie ich stetig lauter wurde. Ich hörte, sah und machte nach – ich war ganz und gar in meinem Element.
Wir waren gerade mitten in einer haarsträubenden Geschichte über einen besonders wagemutigen Ritter, eine eitel-hübsche Prinzessin und ein alles zerteilendes Schwert im Kampf gegen ein machtvolles und grausiges Ungeheuer mit gewaltigen Schwingen und Feueratem ... Tief in Gedanken und meine Übung versunken, wie ich war, stand es dann plötzlich da – mitten im Raum: „Droahee ...“
Mein erstes Wort in der Menschensprache.
Old Lady unterbrach sich und sah mich mit großen Augen an. Sie schien verblüfft, wirkte aber weitaus weniger besorgt, als in den bisherigen Situationen dieser Art. In der Tat sah sie aus, als hätte sie soeben einen Geist gesehen.
„Kannst du sprechen?“, fragte sie abwesend und sich ihrer eigenen Worte kaum bewusst.
„Nein“, log ich in ihrer Sprache.
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